In der Kelterturnhalle

Nun waren wir an einem vorläufigen Ziel, in Schwieberdingen in der Kelter-Turnhalle angekommen, hatten mit der ganzen Sippe ein Dach über dem Kopf und festen Boden unter den Füßen. Zu diesem Zeitpunkt war keinem unserer Erwachsenen bekannt, ob wir wirklich hier bleiben würden. Außer uns waren noch die Familien Göhner, Troltsch, Aujeski und einige andere mit in der Halle untergebracht. Bekocht  hat uns das Rote Kreuz. Zuständig war Frau Amalie Zaiser, die einen einmalig guten Eintopf kochte, jedenfalls schmeckte er nach der Krautsuppe der letzten Wochen köstlich. Die anwesenden Frauen halfen in der Küche bei der Zubereitung des Essens.

Der Haupteingang zur Turnhalle lag seinerzeit an der Giebelseite an der Markgröninger Straße. Links vom Eingang lag die Küche, rechts die Toiletten. Gleich rechts neben dem Eingang führte eine Treppe zur Empore. Beheizt wurde die Halle durch zwei relativ große, gusseiserne Öfen, von denen einer in der Ecke rechts von der Bühne stand, der andere diagonal gegenüber bei der winzigen Küche. Holz oder Kohle diente als Brennmaterial, wenn es zur Verfügung stand, sonst alles, was sich in Wärme umwandeln ließ.

Ringsum an den Wänden lag Stroh, auf dem die vor uns Angekommenen ihre Schlafstellen bereits eingerichtet hatten. Uns wurde der Platz vor der Bühne zugewiesen. Doch das waren nur blanke, harte Bretter. So schickte man Rudi Reinold und mich, um Stroh zu holen. Wir fragten gleich bei den nächstgelegenen Bauern, hatten aber keinen Erfolg. Wahrscheinlich hatten sie schon alle vor uns Eingetroffenen versorgt. Erst am Schulberg bei Frieda Seidel/ Hofmann, einer Kleinbäuerin, hatten wir Glück. Sie gab uns zwei Bund Stroh. Auf dem Rücken schleppten wir, ein elf- und ein 13-jähriger Junge, die Kostbarkeit bis vor die Bühne in der Turnhalle, breiteten es aus, legten Decken darauf und der Schlafplatz war fertig.

Hier muss man sich die damalige Situation einmal vor Augen halten: Es fehlte an allem. Der Selbsterhaltungstrieb, die Natur, zwang jeden dazu, sich Fehlendes selbst zu beschaffen. Für Stroh ist eben der nächstgelegene Bauernhof die Ansprechstelle, die von jedem angefragt wird, der Bedarf hat. Es war für uns die "1A-Lauflage" des damaligen, speziellen Marktes. Um diesen Bedarfswünschen zu entsprechen, hätten die betroffenen Bauern sich selbst verausgabt - und das noch durch Verschenken- das war und ist nicht zumutbar. So ist es verständlich, dass sie uns abwiesen. Für Geld gab es damals kein Stroh oder andere Hilfsmittel, nur im Tausch gegen Gebrauchsgegenstände und die waren in unserem Fall zu Hause in Gurschdorf geblieben.

Nur Zeitzeugen der Erlebnisgeneration sind solche Zustände vertraut und lassen sich in Erinnerung rufen. Jüngere Generationen halten häufig derartige Berichte für Märchen, sie kennen ja solche Situationen nicht aus Erfahrung. Hilfsbereitschaft ist heute für alle Lebenslagen durchorganisiert. Material und Helfer stehen stets irgendwo erreichbar bereit, da muss sich im Notfall keiner mehr um Stroh für den Schlafplatz bemühen, sondern nur fordern - andere lösen dann die Probleme und beseitigen für ihn jede erdenkliche Schwierigkeit, betten ihn weich, oft zu weich.

Für das soeben Gesagte fällt mir als Beispiel noch ein, dass Brennmaterial für die oben erwähnten Öfen nicht immer und schon gar nicht im Überfluss bereit stand.

Als Bürgermeister waltete in Schwieberdingen zu dieser Zeit Friedrich Rothacker aus der Bahnhofstraße, als Gemeindehelfer stand ihm Hermann Kläger zur Seite. Sie hatten die schwierige Aufgabe, die Heimatvertriebenen bei der Schwieberdinger Bürgerschaft in alle zumutbaren Räume einzuweisen.